Berichte aus der Praxis


Verfilmung von Literatur: Emil und die Detektive

 

Emil und die Detektive

 

Die Bücherei hatte die Idee, dass die Oberschule und die Grundschule in Steinkirchen eine gemeinsame Projektwoche zu dem Thema „Bibliokunst“ veranstalten könnten. Die Kollegien beider Schulen stimmten zu, ohne wirklich zu wissen, was auf sie zukommt. Ein Projekt mit Erst- bis Zehntklässlern – kann das überhaupt funktionieren?

 

Eine Kollegin von mir und ich entschieden uns, Literatur zu verfilmen. Wir besaßen zwar beide einen Camcorder, hatten aber noch nie im klassischen Sinn einen Film gedreht. Wir baten die Schule, einen Experten hinzuholen zu dürfen, was uns genehmigt wurde. Ein ortsansässiger Filmschauspieler sagte an zwei Tagen während der Projektwoche seinen Einsatz zu. Auch im Vorfeld stand er uns beratend zur Seite.

 

Unser Projekt erfuhr von Seiten der Schülerschaft großen Zuspruch. Sobald die Teilnehmer feststanden, trafen wir uns mit den zehn Oberschülern aus den Klassen 6 bis 8 und den sechs Grundschülern aus Klasse 3 und 4. Wir wollten von ihnen wissen, ob sie ein spezielles Buch im Auge haben, aus dem sie gerne eine Szene verfilmen möchten. Da aus der Schülerschaft nichts kam, boten wir an: „Bis zum Morgengrauen“ oder „Emil und die Detektive“. Die Schüler entschieden sich für eine Szene aus dem Erich-Kästner- Jugendbuch.

 

Daraufhin suchte meine Kollegin zwei Szenen aus dem Buch heraus. Eigentlich wollten wir den Schülern die Aufgabe stellen, selbst ein Drehbuch aus den Szenen zu schreiben. Doch unser Experte gab zu bedenken, dass wir nur vier Tage Zeit haben, den Film zu drehen. Zu wenig Zeit, um auch noch ein Drehbuch zu schreiben, gab er zu bedenken.

 

Aus der Hörspielfassung des Jugendbuches schrieb mein Praktikant die gesprochenen Passagen aus den ausgesuchten Szenen heraus. Ich fügte Platz für die Regie-anweisungen ein. Unser Experte meinte, wir sollten ebenfalls genug Platz für das Story-Board lassen. Aus dem knapp zweiseitigen Skript wurde so ein 20 Seiten langer Text.

 

Zwei Wochen vor Projektbeginn trafen wir uns erneut mit den Teilnehmerinnen und Teilnehmern. Es stellte sich heraus, dass die Grundschüler alle schauspielern wollten, während sich die Oberschüler für Regie, Technik und Kamera interessierten.

 

Nach den Zeugnisferien war es dann soweit. Der erste Tag des Projekts war gekommen. Unser Experte stellte sich kurz vor. Um ein Gefühl für die Geschichte zu bekommen, lasen wir die Zeitungsmeldung von 1929, die Erich Kästner veranlasste, sein Jugendbuch zu schreiben. Den Emil Tischbein hatte es tatsächlich gegeben. Er wurde auf dem Weg zu seiner Großmutter im Zug beklaut. Der Junge verfolgte den Dieb durch halb Berlin und wurde dabei von etwa 100 Kindern aus Berlin unterstützt. Am Ende konnte der Dieb überführt werden. Es stellte sich heraus, dass er nicht nur Emil im Zug bestohlen hatte, sondern auch ein gesuchter Bankräuber war.

 

Anschließend bekamen die Schüler das Skript in die Hand. Jeder sollte eine Figur lesen. Unser professioneller Schauspieler ließ die Schüler gleich mit dem Text spielen. Sie wurden gebeten, bei jedem Satz ein Kind anzusprechen. Gemeinsame Sätze wurden im Chor gesprochen. Es stellte sich heraus, dass die Grundschüler sehr motiviert bei dieser Aufgabe sprachen, die Oberschüler dagegen sehr lustlos wirkten. Der Anfang erwies sich als sehr zäh. So brachen wir nach einer Weile diese Vorgehensweise ab. Bevor es in eine Pause ging, baten wir die Schüler das Skript selbst noch einmal durchzulesen.

 

Nach der Pause startete dann das Casting. Insgesamt wollten 7 Schülerinnen und Schüler bei der Szene mitspielen. Das Regie-Team, bestehend aus vier 8-Klässlern, ließ die Grundschüler und einen 6-Klässler zwei Texte lesen, die sie anschließend auswendig vortragen sollten. Schon hier zeigte sich, wer schnell auswendig lernen kann, vor Selbstbewußtsein strotzt und über schauspielerisches Talent verfügt. Das Regie-Team zog sich mit mir kurz zurück. Die Schüler diskutierten kurz untereinander und nahmen eine Rollenverteilung vor, die ich nicht besser hätte machen können.

 

Nach dem Casting werden die Teilnehmer in mehrere Gruppen aufgeteilt. Die Schauspieler lernen ihren Text, das Regieteam setzt sich mit dem Text auseinander und überlegt sich halbherzig Regieanweisungen, die restlichen Schüler suchen in der Schule nach Drehorten und überlegen sich Kostüme.

 

Am Ende des Tages werden Arbeitsaufträge vergeben, wie z.B. Text lernen, Kostüme und Requisiten mitbringen.

 

Am folgenden Tag machen wir Probeaufnahmen. Die Grundschüler können bereits sehr sicher ihren Text. Während sie proben, werden sie gefilmt. Das Ergebnis schauen wir uns direkt anschließend im Film an, so dass die Schüler ihre eigene Mimik kontrollieren können und sie merken, dass sie wesentlich lauter sprechen müssen.

 

Die Kamerafrau kann sich mit der Technik anfreunden, und aus dem Regie-Team kristalisiert sich die Chefin schnell heraus. Sie gibt an, wo das Licht zu stehen hat, aus welcher Position die Kamera filmen soll, welche Textabschnitte gedreht werden sollen und was die Schauspieler machen sollen.

 

Die anderen sind stille Beobachter, die nur selten etwas ergänzen, da die Chefin ihre Rolle wirklich prima ausfüllt. Im Laufe des Tages stellt sich zudem heraus, dass das Regieteam auch bereit ist, am Wochenende auf dem privaten Rechner den Film zu schneiden. Sie wollen auch die Take Outs und ein Making off, evtl. sogar einen Trailer zusammenstellen. Meine Kollegin und ich freuen uns, dass die Schüler so begeistert dabei sind, und wir vertrauen ihnen diese wichtige Aufgabe gerne an.

 

Am dritten Tag treffen wir uns in der Turnhalle, die bis 10 Uhr nicht besetzt ist. Der leer geräumte Geräteraum soll einen Schuppen darstellen, in dem sich Gustav und seine Freunde in Berlin treffen. Hier stellt Gustav seinen Freunden Emil vor, während ein Kind den Bösewicht im Café beobachtet.

 

Die Szene wird mehrfach durchgespielt. Nach jedem Durchgang wird die Kamera an einem anderen Ort positioniert. Alle Schüler sind erstaunlich diszipliniert und versuchen kein störendes Geräusch, während die Kamera läuft, zu machen. Auch das Klingeln zur großen Pause wird ignoriert. Da jeder weiß, dass der Drehort uns nur bis 10 Uhr zur Verfügung steht, wird zügig und konzentriert gearbeitet.

 

Nach gut 90 Minuten ist die Szene im Kasten, und wir wechseln zum nächsten Drehort, der Schulmensa. Jetzt soll auch unserer professioneller Schauspieler in einer Spezial- Guest-Rolle mitspielen. Er verkörpert den bösen Dieb, der sich Emil mit dem Namen Grundeis vorstellt.

 

Auch er bekommt in der Mensa seine Anweisungen von der 8-Klässlerin. Alle Techniker, Lehrer und Mitglieder des Regieteams werden als Statisten benötigt, die ebenfalls im Café sitzen.

 

Der letzte Drehort ist dann der Schulgarten, wo die Verfolgungsjagd gedreht wird. 30 Minuten vor Unterrichtsschluss ist der Drehtag beendet. Unser Profi ist begeistert. Er hatte im Vorgespräch mindestens zwei Tage für den Dreh eingeplant. Wir besprechen noch, wie der morgige Tage ablaufen soll, dann werden die Kinder entlassen.

 

Am letzten Tag wird der Film von drei Schülern aus dem Regieteam geschnitten. Damit auch die anderen Schüler davon etwas mitbekommen können, schließen wir den Rechner an den Beamer an, so dass man zwischendurch sehen kann, wie weit das Team mit dem Film ist. Während an dem Film gearbeitet wird, kümmern sich die anderen Schülerinnen und Schüler um die Werbung. Sie malen Plakate und schreiben Flyer, die in der Schule verteilt werden. Schließlich wollen sie, dass am Tag der Projektpräsentation auch ihr Film bewundert wird. Eine andere Gruppe erstellt eine Wandzeitung. Diese Schüler schreiben auf, wie wir gearbeitet haben, und kleben Fotos dazu.

 

An diesem letzten Tag waren meine Kollegin und ich eigentlich völlig arbeitslos. Wir führten nur noch Aufsicht und staunten über die Schülerinnen und Schüler, die das ganze Projekt selbst in die Hand genommen hatten.

 

Zum Abschluss befragten wir die Schüler, wie ihnen diese schulübergreifende Projetwoche gefallen habe. Die Grundschüler fanden toll, dass die Großen alles für sie gemacht haben und sie nur noch spielen mussten. Und die Oberschüler fanden die Kleinen „süß“.

 

Ich persönlich fand es sehr spannend zu beobachten, wie respektvoll die Großen und die Kleinen miteinander umgegangen sind, und beide Gruppen brachten zum Ausdruck, sie hätten nichts dagegen, wieder ein schulübergreifendes Projekt durchzuführen.

 

Sabine Köckeritz