Übungen zu Körper und Stimme (14)

Im Folgenden möchten wir einige Anregungen zu Übungen geben, die der Förderung des freien Sprechens im Unterricht und darüber hinaus dienen. Sie sollen helfen, sich seiner Stimme und ihrer Möglichkeiten bewusster zu werden und Hemmungen abzubauen, sich spontan oder vorbereitet zu äußern.

Wenn man die von uns beschriebenen Übungen am Anfang der jeweiligen Unterrichtsstunde einsetzt, haben sie einerseits die Funktion, zum „Aufwärmen" zu dienen, andererseits lassen sich mit ihnen aber auch sprach- und sprechfördernde Übungsschritte verknüpfen, die sich inhaltlich auf den folgenden Unterricht beziehen.


Das Gelingen einer sprachlichen Äußerung hängt neben der individuellen sprachlichen Kompetenz in nicht zu unterschätzendem Maß von der jeweiligen psychischen Verfassung der Lernenden ab. Die hier beschriebenen Übungen'' wurden entwickelt, um den Lernenden die Scheu zu nehmen, sich sprachlich auszudrücken, und um ihnen zu ermöglichen, spielerisch einiges im Umgang mit Sprache zu erproben, ohne der (Fremd- oder Eigen-)Kontrolle von „richtig/ falsch" ausgesetzt zu sein.
Nach unseren Erfahrungen reagieren die Schülerinnen nach anfänglicher Skepsis (die älteren) oder sehr großer Albernheit (die jüngeren) zunehmend gelassen auf das Ansinnen, gemeinsam im Kreis Atem-, Körper- und Stimmübungen zu unternehmen.
Jegliche Form der Ritualisierung wirkt sich positiv aus.
Insgesamt dienen die Übungen nach unseren Beobachtungen auch dazu, Kommunikationssituationen in der Lerngruppe gleichberechtigter werden zu lassen (die Stillen trauen sich bald mehr), die Kommunikation insgesamt zu erleichtern (lauteres, deutlicheres Sprechen; höhere Aufmerksamkeit für verschiedene Partnerinnen: Es „läuft" nicht mehr alles über den Lehrer) und sich der vielen Ausdrucksmöglichkeiten der eigenen Stimme bewusster zu werden.


Übung 1
Die Schülerinnen stehen mit dem Lehrer/der Lehrerin im Kreis. Die Einführung lautet: „Ich bin euer Spiegel!" Die Lernenden machen möglichst genau alles nach, was der Lehrer/die Lehrerin ihnen vormacht bzw. vorspricht. (Nach einiger Zeit „läuft" das fast gleichzeitig ab, so dass man kaum mehr sieht, wer Gespiegelter und wer Spiegelnder ist.)
Die Übung beginnt stets mit tiefen (hörbaren) Atemzügen und einigen körperlichen Lockerungen (z. B.: Schultern hochziehen und locker fallen lassen, Halbkreisbewegungen des Kopfes, Armkreisen, Rumpfbeugen etc.).
Nach einer Weile beginnt der Lehrer/die Lehrerin das Ausatmen mit Zischlauten, stimmhaftem [s] (Fliege: Vorstellung ist hier eine kreisende und trudelnde Fliege, die man mit Augen und Kopfdrehungen „verfolgt", das „Gesumm" mit Stimme und Mund nachahmt) und langen Vokalen zu begleiten.
Der nächste Abschnitt der Übung besteht aus kurzen, schnell hintereinander gesprochenen Verschlusslauten ([p], [t], [k]) und im Folgenden aus kurzen Wörtern (etwa: sosososo, neinneinneinnein, doch doch doch doch, dadadada). Soweit möglich, werden diese kurzen Wörter mit einfachen Gesten verbunden (Kopfschütteln, Zeigen mit dem Finger).
Im nächsten Übungsschritt geht der Lehrer/die Lehrerin zu einfachen „Drei-bis Fünf-Wort-Sätzen“ über (etwa: Ich bin so müde/strecken; Ich habe Hunger/ Bauch reiben; Komm mal her/Zeigefinger krümmen). Es bieten sich auch Ausrufe an, die mit einer bestimmten Sprechhaltung verbunden werden können (etwa: Hallo, freudig, der/die andere befindet sich „auf der anderen Straßenseite"; Ich will nicht, traurig oder trotzig;
Mit mir nicht, aufsässig oder ablehnend). Natürlich entsteht dabei ein Durcheinander, das sich aber eher als entspannend denn als hinderlich erweist. Nach einiger Übung können an dieser Stelle einzelne Schülerinnen die Anleitung übernehmen. Der Phantasie sind dabei keine Grenzen gesetzt. Die Schülerinnen sollten vor Beginn der Übungen unbedingt darauf hingewiesen werden, dass ihnen durch das kurze intensive Atmen schwindelig werden könnte und dass sie sich dann kurz setzen sollten!
Allen folgenden Übungen sollten die Anfänge der Übung 1 vorausgehen!


Übung 2 „Laute Post"
Im Kreis wird ein mit dem Mund erzeugtes Geräusch, ein Wort, ein Satz „herumgegeben". Älteren Schülerinnen gibt man dabei den Auftrag, die Laut-Äußerung jedes mal zu variieren (Lautstärke, Tonfall, Akzent).
Variante 1: Die Schülerinnen summen individuell einen Ton (nachatmen), bewegen sich dabei durch den Raum (geht auch gut draußen) und „tauschen" den jeweiligen Ton dann, wenn sie jemanden treffen und sich beide Summerinnen anschauen (nicht leicht!).
Variante 2: Jede(r) summt individuell einen Ton und verfolgt mit den Augen dabei eine imaginäre (oder reale) gerade Linie im Raum. Der Ton ist zu Ende, wenn das Ende der Linie erreicht ist.


Übung 3
Alle Schülerinnen und Schüler (oder kleine Gruppen mit zwei, drei oder vier Schülerinnen) gestalten eine Kommunikationssituation und dürfen dabei nur kurze Silben ohne Sinn (Vorgabe wichtig, etwa: blim, blam, blum, blom) sprechen. Mögliche Situationsvorgaben, die auch aus der Gruppe kommen können, sind.
geheimnisvolles Gemurmel, Marktszene, Streit, Flirt.


Übung 4
Unter Anleitung (LehrerIn oder SchülerIn) variiert die Gruppe einen langen Vokal bezüglich Tonhöhe und/oder Lautstärke (einfaches Zeigen mit der Hand oder Faust mit im Halbkreis bewegtem „Tramperdaumen": unten = leise oder tief; oben = laut oder hoch).


Übung 5
Diese Übung ist in kommunikativer Hinsicht die interessanteste. Sie funktioniert nur, wenn mit den SchülerInnen schon häufiger gearbeitet wurde wie in Übung 1—4 beschrieben. Alle sitzen, stehen oder liegen im Raum
verteilt, Dämmerlicht ist hilfreich. Jede(r) darf/sollte mit der eigenen Stimme alles ausprobieren (auch phasenweise „nur" zuhören). Verboten sind dabei Wörter mit Bedeutung (nicht jedoch Nonsens-Sprache) und die Imitation von Tierstimmen.
Als InitiatorIn eines solchen Tuns ist man überrascht, wie unterschiedlich jedes Mal der Verlauf ist. Gemeinsam sind allen solchen „freien Vokalimprovisationen" die ungeheure gegenseitige Anregung der TeilnehmerInnen, die Dynamik (nicht nur bezüglich der Lautstärke), die Vielzahl der akustischen Szenen (Dauer: zwischen 5 und 30 Minuten, oft ergibt sich von selbst ein Ende).


Folgende Effekte dieser Übungen haben wir beobachtet: Neben der allgemeinen Lockerung und Entspannung berichteten die Schülerinnen, dass sie im Unterricht weniger Angst gehabt hätten, sich zu äußern. Insbesondere fiel es den Schülerinnen leichter, sich in eine bestimmte Sprechhaltung hineinzubegeben und diese auch stimmlich und von der Körperhaltung her adäquat umzusetzen.

 

Quelle: Atmung - Körper - Sprache,

Übungen für den Schulalltag,

zur Verfügung gestellt von Wolfgang Schiller (Autor)

 

Diese Übung ist von der Homepage des

Fachverbandes Schultheater - Darstellendes Spiel Niedersachsen

www.schultheater-nds.de