Im Theater geht es nicht darum, sich über diese Krankheitssymptome lustig zu machen, sondern ihr Auftreten und ihre Dynamik zu nutzen, um einer Figur mehr Expressivität zu verleihen.
Die Medizin klassifiziert vier Subgruppen von Tics, die besonders im Kopf- und Schulterbereich auftreten, aber auch andere Extremitäten wie Beine können betroffen sein:
Einfache motorische Tics (z. B. Stirnrunzeln, Augenblinzeln, ruckartiges Kopfbewegen, Hochziehen der Augenbrauen, Schulterzucken, Grimassieren).
• Einfache vokale Tics (Räuspern, mit der Zunge schnalzen, Hüsteln, Schmatzen, Grunzen).
• Komplexe motorische Tics (beispielsweise Springen, Berühren anderer Leute oder Gegenstände, Körperverdrehungen, Kopropraxie (Ausführung obszöner Gesten), selbstverletzendes
Verhalten.
• Komplexe vokale Tics (wie das Herausschleudern von zusammenhangslosen Wörtern und kurzen Sätzen, Koprolalie (das Ausstoßen obszöner Worte), Echolalie (Wiederholung von
gehörten Lauten und Wortfetzen), Palilalie (Wiederholung von gerade selbst gesprochenen Worten).
Man kann zwar einen Tic ähnlich dem Schluckauf über einen kurzen Zeitraum hinweg unterdrücken, ihn sich aber nicht abgewöhnen. Der Tic-Patient kann sowohl den Zeitpunkt des Auftretens als
auch den des Verschwindens eines Tics nicht kontrollieren. Tics beginnen zumeist im Alter von sieben bis zwölf Jahren mehrheitlich bei Jungen. Bei leichteren Verlaufsformen hören die Tics in der
Regel zu Beginn des Erwachsenenalters auf. Bei schwereren Verlaufsformen bleiben die Symptome auch im Erwachsenenalter bestehen, oft jedoch in abgeschwächter Form. Die schwerste und deshalb
eindrücklichste Verlaufsform wird auch nach dem Erstbeschreiber, dem französischen Neurologen Georges Gilles de la Tourette als sogenanntes Tourette-Syndrom bezeichnet.
Der Tic wird deshalb in ihrem Bewegungsablauf sehr präzise entwickelt und strukturiert und in ihren exakt drei Ausprägungen gemäß einer Klimax genutzt, um den Aktionen und Reaktionen einer Figur
in bestimmten dramaturgisch festgelegten Situationen mehr Expressivität zu verleihen. Die Figur wird in Grenzsituationen ihrer Daseinsbefindlichkeit gebracht und hier kann sie erheblich
deutlicher ihr „wahres“ Wesen zeigen.
Die Figur zeigt ihren Tic - eine sehr begrenzte körperliche Aktion eines oder weniger Gliedmaßen - in drei Stufen:
1. Es wird fast nur die Körperspannung der Macke sichtbar.
2. Die Macke zeigt sich jetzt klar, aber noch nicht dominant, aber die Figur ist sich dessen nicht bewusst, versucht es zu überspielen.
3. Die Macke dominiert und beherrscht die Figur in allem. Sie kann sie/sich nicht mehr kontrollieren und ihre Motive weiter verfolgen. Sie gerät außer Rand und Band.
Diese Übung ist von der Homepage des
Fachverbandes Schultheater - Darstellendes Spiel Niedersachsen
www.schultheater-nds.de
von der CD Kursmaterial Theater (Volker List / Malte Pfeiffer)
Übungen und Hilfen für Lernende